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Spuren: Bronze – Ton – Papier, 2024

Matthias Flügge:
Rede zur Ausstellung „Sylvia Hagen. Spuren: Bronze – Ton – Papier” im Schloss Neuhardenberg, September 2024

Man kommt, wenn man die Arbeiten von Sylvia Hagen betrachtet, kaum umhin sich dem Geist des Ortes anzunähern, an dem sie entstehen. Eine Landschaft, geprägt von der Weite und der Offenheit, auch der Kargheit, die sich als Möglichkeitsraum von Konzentration beschreiben lässt, bestimmt von der Linearität der Horizonte und dem Licht. Und das alles stiftet die enge Verbindung zu den erdigen Materialien und Farben wie zu den Motiven …

Gottfried Benn, dem der Zeitgeist momentan eher abhold ist, weshalb ich hier an ihn erinnern möchte, hat in seinem Gedicht „Epilog“ 1949 eine Kindheitserinnerung beschrieben: „Es ist ein Garten, den ich manchmal sehe / östlich der Oder, wo die Ebenen weit, / ein Graben, eine Brücke und ich stehe / an Fliederbüschen, blau und rauschbereit.“
Der Vers handelt von dieser Landschaft am Fluss, in der Sylvia Hagen seit viereinhalb Jahrzehnten als Bildhauerin, Zeichnerin und Grafikerin lebt und arbeitet. Es wäre nun arg verfehlt zu sagen, ihr Werk wäre im Stillen entstanden, doch steht es bis heute ein wenig abseits von den kunstbetrieblichen Euphorien, seien diese nun politisch, ökonomisch oder weltanschaulich motiviert. Das war schon im Osten so und hat sich bis heute kaum verändert. Es geht dieser Bildhauerin ja nicht um die Aktualitäten des Tages oder gar die vorderen Plätze in irgendwelchen Rankings sondern es geht um etwas scheinbar ganz Altmodisches: um ein zeitgenössisches bildnerisches Zeichensystem für das, was wir die „condition humaine“ nennen. Dass dieses Werk einer intellektuellen wie ästhetischen Teilhabe an der sogenannten realen Welt und ihrer Hintergründe bedarf, versteht sich von selbst. Und so ist Sylvias Atelier in Altlangsow keine Klause sondern eine Warte, ein Ort der Beobachtung und der Vertiefung.

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Dort hat sie ihr Werk ebenso bedacht wie konsequent entwickelt. Es ist fast durchweg von einer wunderbaren Gelassenheit bestimmt. Seit Jahren bringt sie es voran, Schritt für Schritt und immer im Bewusstsein einer künstlerischen Aufgabe, die sich allein der Ausdruckskraft existenzieller Seinszustände zuwendet.
Die Figur des Menschen steht im Zentrum dieser Arbeit, die Landschaft auch, in der er lebt. Nicht die Krisen und Erschütterungen der Gegenwart werden bebildert – nichts wird überhaupt „bebildert“ – sondern die Verletzungen und die Gegenwehr, das Fallen und das sich Erheben, das Fragment, die Zersplitterung als einzig noch verbliebenes Bild des Ganzen sind ein universales Thema. Dabei geht es nicht um Widerspruch oder gar Larmoyanz, es geht um Behauptung und um Transformation.

Sie alle wissen um die enge künstlerische Lebensverbindung mit Werner Stötzer und sie wissen auch, dass es viele ästhetische und künstlerisch-ethische Gemeinsamkeiten beider gab. Dazu gehörte unbedingt die gegenseitige Achtung vor dem Werk des anderen. Immerhin fast 35 Jahre lang. Wer das erleben durfte, der hat es bewundert, ohne Zweifel. Nun ist Werner schon etliche Jahre tot und Sylvia ist ihren Weg weitergegangen, Werk um Werk ist entstanden und nicht wenige haben das Atelier in Richtung guter Orte verlassen. Werner Stötzers Material war vor allem der Stein, aus dem er mit Kraft und Beharrlichkeit seine Wunderwerke der Empfindsamkeit und ätherischen Lebendigkeit gleichsam herausschälte.

Auch Sylvia hat mit dem Stein begonnen und Modelle für Bronzen geformt, ehe sie den Ton als ihr ureigenes Material entdeckte und eine Technik seiner Bearbeitung entwickelte, die eben nicht die weiche Masse in Figuren formt sondern sie aus gewalzten Platten konstruktiv baut. Ein Verfahren, das vielfach in der Gefäßkeramik Anwendung findet, in der freien Plastik bislang aber kaum Anwendung fand.
Das begann kurz vor der Jahrtausendwende. Und die Bildhauerin hatte eine Erfindung gemacht, die sich bis heute als tragfähig erweisen sollte. Es geht ja in der figurativen Bildhauerei und Plastik, in der seit Jahrtausenden so vieles bereits vor- und ausformuliert worden ist, längst nicht mehr um die sogenannten Innovationen, sondern darum, für das Kunstwerk ein Material, eine Form zu finden, die dem eigenen Wesen, dem eigenen Sehen, der eigenen Wahrnehmung von der Welt und den Menschen soweit wie möglich entspricht. Insofern lässt sich Figuration in modernen Skulpturen immer auch als Selbstporträt verstehen. So, wie für die Apologeten des material turn das Material selbst eine Wirkmacht, einen Eigensinn entfaltet, quasi zum Agenten seiner Handlungspotentiale werden kann.
Angesichts von Sylvias Plastiken, deren Materialität ich selbst in der Umsetzung als Bronzeguss durchaus so etwas wie eine Aura zugestehen möchte, könnte man auf solche Gedanken kommen. Es gibt eben darin auch eine Abweisung, die etwas außerordentlich Anziehendes hat.

In Ausstellungen wie dieser wird das deutlich. Wir gehen auf die Werke zu, sie bleiben zurückhaltend, suchen nicht das Gespräch. Man muss sich ihnen bedachtsam nähern, dann eröffnet sich die ganze materielle Beschaffenheit und die komplexe Räumlichkeit, die schon in sich ein Bild ist für den Ort des Menschen.

Das zu erkennen macht das Glück der Begegnung aus. Dabei sind sie nicht erzählerisch und auch nicht vordergründig „sensibel“, ihr architektonischer Grundaufbau, der als Abstraktion erscheint, formt sich gleichsam der menschlichen Gestalt entgegen, verharrt zuweilen im Vagen einer entfernten Kenntlichkeit und deutet dann wieder charakteristische Momente der Anatomie. Gesten werden sichtbar und ein langes Anschauen führt zu empathischer Einfühlung.

Sylvia selbst beschrieb das jüngst in einem Interview mit Jörg Sandau so: „Ich versuche das zu zeigen, was ist, was die Figur ist, in ihrer Verletzlichkeit oder auch in ihrer Kraft und Energie. Dabei fange ich nicht mit einer Idee an, sondern beginne mit einem Eindruck, der mich konkret bewegt. Es gibt immer etwas Sinnliches oder Organisches, von dem ich ausgehe. Doch ich wende diese Technik, wie sie sich bei mir eingestellt hat, nicht vordergründig an, um der Technik willen. Man sieht zuerst aber wohl etwas Ruppiges in meiner Arbeit. Das hat natürlich etwas mit mir zu tun und mit der Zeit, in der wir leben und die man durchaus rabiat nennen könnte. Nicht, dass ich ruppig bin. Aber ich möchte etwas mit meinen Händen arbeiten. Und das ist nicht glatt. Das Glatte ist bei mir langweilig. Bei anderen nicht. (…) Dazu kommt ein spielerisches Moment. Ich bin in einem Alter, wo ich auch spielen kann. In diesem Spiel suche ich allerdings nicht das Sichtbare, sondern das Ahnbare, etwas Symbolisches, das die Existenz prägt.“

Parallel dazu entstehen Zeichnungen und druckgraphische Blätter, die die plastischen Arbeiten zuweilen vorbereiten, meist aber innerhalb des Oeuvres und der Gattung als autonome Werke zu betrachten sind. Klassische Bildhauerzeichnungen erforschen gleichsam Tektonik und Proportion des menschlichen Körpers und in ihren Zeichnungen nach der sie seit Jahrzehnten umgebenden Landschaft und Natur erkennt Sylvia Hagen das nicht nur atmosphärische Elixier ihres ganzen künstlerischen Schaffens. Zuweilen scheinen die Motive einander zu durchdringen und in den Körpern scheint dann das Landschaftliche auf.
In der gedruckten Grafik, die einen eigenen Werkkomplex bildet, bevorzugt Sylvia Hagen die Technik der Radierung mit der kalten Nadel, die den entschiedenen Strich in die widerständige Platte fordert, unkorrigierbar in den Bildgrund gearbeitet, und auf den Abzügen tiefe und samtige Linien wie Oberflächen erzeugend. Die Radierung, könnte man sagen, steht dem Bildhauerischen nahe, weil sie haptisch ist, taktile, flache Reliefs erzeugt und das Licht raumbildend erscheinen lassen kann.
Diese Radierungen entstehen spontan wie Notizen, Abbreviaturen visueller Eindrücke, als Zeichnungen in Zink- und Kupferplatten. Aber wo die Zeichnung direkt vor dem Auge der Künstlerin erscheint, gewischt und überarbeitet werden kann, entsteht die Radierung in einem Übersetzungsprozess, bei dem ein Rest des Unwägbaren bleibt. Sylvia Hagen kostet ihn aus. Man meint, die Lust zu sehen, die es bereitet, tiefe Ritzungen oder feinste Strukturen zu setzen, die Kaltnadel-Zeichnung zuweilen mit geätzten Partien zu überlagern, so dass aus dem landschaftlich motivierten Abbild etwas ganz anderes entsteht: ein Gespinst aus Einzelformen, das nie ornamental wird, sich aber vom Anlass mehr oder weniger weit entfernt.

Manchmal lassen diese Gespinste den Blick ins Weite zu, dann wieder versperren sie sich, werden dicht und undurchdringlich. Sie haben ihren jeweils eigenen Rhythmus und eine karge, klare Musikalität. Man hat es Nüchternheit genannt, es ist aber ein großer Reichtum, der aus den Quellen „ihrer“ Landschaften kommt. Und die sind nicht schwelgend oder „malerisch“ an sich, sondern wissen ihre Sensationen wohl zu inszenieren, so wie Benns Fliederbüsche.

In dessen, schon eingangs zitiertem „Epilog“ der Zerrissenheit, gibt es denn auch den einen hoffnungsvollen Vers, der lautet: „Das du dir trugst, dies Bild, halb Wahn, halb Wende, / das trägt sich selbst, du musst nicht bange sein / und Schmetterlinge, März bis Sommerende, / das wird noch lange sein.“

Hoffen wir trotz allem darauf, jetzt, am Sommerende.

Pink und Pong, 2017

Matthias Flügge:
Rede zur Ausstellung im Schul- und Bethaus, Altlangsow, August 2017

Wer über die Arbeiten von Sylvia Hagen nachdenkt, kommt selten umhin, den Geist des Ortes zu beschreiben, an dem sie entstehen. Für diese Ausstellung haben sie ihn nicht verlassen. Wir spüren den Ort, sehen die Landschaft, die Natur, die Weite und die Offenheit, auch die Kargheit, die sich als Konzentration beschreiben lässt, und die Verbindung der erdigen Materialien und Farben mit der Linearität der Horizonte und dem Licht.

Doch es gibt auch Überraschungen: Als wir vor ein paar Wochen bei schönem Wetter hierher fuhren, saßen in den Einmündungen der Waldwege immer wieder junge oder nicht mehr ganz junge Damen auf den weißen Plastikstühlen, die MONOBLOCK heißen, und schauten freundlich, manche auch winkend, auf die Vorbeifahrenden. Da wir so etwas auf dieser Strecke noch nie gesehen hatten, einigten wir uns darauf, es müsse sich um eine großangelegte Verkehrszählung handeln. Immerhin geht es hier zur Grenze. Nur, was hatten die blauen Plastiksäcke zu bedeuten?

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Sylvia klärte uns alsbald über die wahre Aufgabe der wege­lagernden Damen auf und zeigte ihre neuen Zeichnungen. Die Ausstellung, sagte sie, würde heißen: Pink und Pong. Pink war klar, aber was bitte heißt Pong? Ich konnte mir das nur als die phonetische Entsprechung meiner Überraschung angesichts des neuen Themas in ihrem Werk erklären.

Pong! Sylvia Hagen arbeitet jetzt im sozialen Feld. Doch sie hatte eine bessere Erklärung. Es war ihr gegangen wie uns. Die Überraschung, das Pink im Waldesgrün im Oderbruch am Wegesrand, wenn sie im Auto nach Berlin fuhr: Das war ein Bild, das musste man zeichnen, kein Bild für irgendwas, schon gar keine Metapher für die Sittenlosigkeit der Zeit und auch kein Ausdruck irgendeiner Lust. Dirnen als Leitmotiv der Antike wie der Moderne wurden ja zumeist von Männern dargestellt.

Sylvia Hagen, die wir als veritable Zeichnerin von mit Bildhauer­augen gesehenen Akten und ebenso empfindsam wie klar gebauten Landschaften kennen, hat sich ein neues Feld erschlossen. Es liegt, wie die anderen auch, gleichsam »vor der Tür«. Und dass das neue Thema auch neuer Mittel bedarf, ist für sie ganz selbstverständlich. Nun also eine Annäherung an die Malerei, die Farbe tritt hinzu, ohne dass der zeichnerische Impuls aufgegeben würde.

Sylvia Hagen hat ihr Werk über die vergangenen Jahrzehnte ebenso bedacht wie konsequent entwickelt. Es ist von einer wunderbaren Gelassenheit bestimmt. Angesichts heutiger Erregtheiten in der Kunst ist das schon eine Provokation. Seit Jahren bringt sie es voran, Schritt für Schritt und immer im Bewusstsein einer künstlerischen Aufgabe, die nicht der illustrativen Verstärkung jeweils aktueller politischer oder gar ideologischer Prämissen dient, sondern sich der Ausdruckskraft existenzieller Seinszustände versichert. Die Figur des Menschen steht im Zentrum dieser Arbeit, die Landschaft auch, in der er lebt. Nicht die Krisen und Erschütterungen der Gegenwart werden bebildert – nichts wird überhaupt »bebildert« –, sondern die Verletzungen und die Gegenwehr, das Fallen und das sich Erheben, das Fragment, die Zersplitterung als einzig noch verbliebenes Bild des Ganzen sind ein universales Thema. Dabei geht es nicht um Widerspruch oder gar Larmoyanz, es geht um Behauptung und um Transformation.

Sylvia hat die europäische bildhauerische Formulierung des 20. Jahrhunderts, die sich zwischen Naturhaftigkeit, expressiver Formkonvulsion und klassisch-antiker Idealität bewegte, zugleich bewahrt und überwunden. Sie baut die Körper, die Gesten, die Zustände, die Räume, die Oberflächen, die Schrunden und die Brüche ihrer Figuren vom Grund aus auf. Das ist nicht Plastik als Verfahren des Formens aus formbarem Material und auch nicht Skulptur als Werk des Herausschälens aus einem Block. Es ist ein synthetisches Vorgehen, eine Konstruktion, eine Architektur, die wie jede wirkliche Architektur einen Organismus entstehen lässt, von menschlichem Maß. Formal kann man das als eine Art von organisch-synthetischem Kubis­mus im Raum beschreiben.

Als sie begann, in Ton zu arbeiten, der in Platten gewalzt, die dann zerschnitten und zu Figurationen gebaut werden, das war 1998, hatte sie für sich eine Erfindung gemacht, die sich für lange Zeit als tragfähig erweisen sollte. Es geht ja in der figurativen Bildhauerei, in der so vieles bereits vor- und ausformuliert ist, nicht um die sogenannten Innovationen, sondern darum, ein Material, eine Form, einen Ausdruck zu finden, die dem eigenen Wesen, dem eigenen Sehen, der eigenen Wahrnehmung von der Welt und den Menschen voll und ganz entsprechen. Insofern ist Figuration in der modernen Skulptur immer auch so etwas wie Selbstporträt. Bei den Großen des Metiers können wir das beobachten und bei Sylvia Hagens Plastiken auch. Sie springen den Betrachter nicht an, sie suchen nicht das Gespräch, man muss sich ihnen bedachtsam nähern, dann eröffnet sich die ganze komplexe Räumlichkeit, die schon in sich ein Bild ist für den Ort des Menschen. Das zu erkennen macht das Glück der Begegnung aus. Dabei sind sie nicht erzählerisch und auch nicht vordergründig sensibel, ihr architektonischer Grundaufbau, der als Abstraktion erscheint, formt sich gleichsam der menschlichen Gestalt entgegen, verharrt zuweilen im Vagen einer weit entfernten Kenntlichkeit und deutet dann wieder charakteristische Momente des Körpers. Gesten werden kenntlich und langes Anschauen setzt Stimmungen frei. Engoben und sparsame Farbigkeit dynamisieren die Oberflächen, akzentuieren die Durchbrüche und Hohlräume, die aufeinanderstoßenden Flächen: ein Arsenal der Formen, das seine innere Widersprüchlichkeit als Harmonie definiert und freigibt. Und wenn die Terrakotten dann in Bronze oder Eisen gegossen werden, wird auch das Material an sich zum Thema – als Freiheit im Gebundensein an eine Form.
Wie bei Pink und Pong.

Das Haus, in dem ich wohne, … , 2015

Das Haus, in dem ich wohne,
ist alt, ein Pfarrhaus.

Zwei Jahre stand es leer, bevor Werner und ich es entdeckten und mit Leben erfüllten. Wir waren jung; Arbeit, Liebe, Lachen und
Gottvertrauen zogen ein. Unser Sohn wurde geboren.

Noch heute kann ich mich an den Geruch der kaputten Kachelöfen erinnern, die alle zwei Stunden bestückt werden mußten, weil sie die Wärme nicht mehr hielten. Im Laufe der Zeit wurden sie durch eine Zentralheizung ersetzt, nach der Wende kam die Ölheizung. Das tägliche Leben wurde einfacher, wir älter. Vertraute Menschen im Dorf starben oder zogen weg. Auch Werner ist tot, nichts bleibt wie es ist, der Satz bekam ein Gesicht.

Etwas bleibt doch: die Treffen mit unseren Freunden, sie haben
größere Abstände, die Nähe nicht.

Das Dorf veränderte sich langsam. Die Straßen erhielten andere
Namen, aus Leninstraße 7 wurde Altlangsow 13. Aus dem
Lenindenkmal wurde wieder ein Kriegerdenkmal. Andere
Menschen zogen ins Dorf und erfüllten es mit neuem Leben.
Neugierde, Mißtrauen begegneten ihnen, wie allem Fremden.
Nach einer Weile entstanden Freundschaften und Feindschaften.

Das Haus, in dem ich jetzt allein wohne, hat Risse und bedarf
der Pflege, es ist alt mit schönen Räumen.

Sylvia Hagen
Altlangsow, im November 2015

Galerie 100, 2013

Petra Hornung:
Rede zur Ausstellung „Arbeiten von Künstlern aus dem Oderbruch. Sylvia Hagen” in der Galerie 100, Berlin, August 2013

Ich erinnere mich deutlich, das war kurz nach der Wende – die Begegnung mit Sylvia Hagens neuen Arbeiten. Ich kannte, mochte ihre Aquarelle, Aktzeichnungen, Grafiken und natürlich die Köpfe und Plastiken, die ihre Spannung in dieser ihr eigenen Mischung aus Empfindsamkeit und Strenge im klaren Kontext zur Körperlichkeit ausgetragen haben. Diese konzentriert nuancierte, klassische Auffassung von figürlicher Bildhauerei, die immer auch die Wahrung des vollplastischen Volumens am Leibe hat, war mir lieb und vertraut.

Spannung, Entspannung, klassische Ponderation, Spielbein, Standbein … Wie herausgehoben und gleichsam eingrenzend die Einhaltung solcher Gebote auch anmutet, so unendlich sind die Möglichkeiten ihrer Auslotung, die bis heute einen Sinn machen können. Sylvia Hagens Skulpturen altern nicht. Stein, Holz, Bronzeguss, Eisenguss; lebensgroß. Die Sitzenden, Liegenden, Stehenden, sie scheinen geschützt durch ihre so wenig an die Zeit gebundene Gültigkeit.

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Die neuen Arbeiten, da meine ich ihre Werke, die jetzt vor fast 20 Jahren entstanden sind. Die waren gar nicht mal so groß; ca. 50 cm hoch, Ton als Material, wie aus Tonscherben aufgebaut, aneinander gebaut, gebrannt, ohne die Übergänge verharmlosen zu wollen, herb, fast grob auf den ersten Blick und in einer völlig anderen Art. Die haben mir so zugesetzt, dass ich zunächst eine Zeit der Vergewisserung brauchte, auch weil sie mir so unvermutet und absolut nahe kamen und das in einer Geschwindigkeit, auf die ich nicht gefasst war. Diese rigorose Entschiedenheit, die mir da entgegenschlug, machte
mich im Grunde sprachlos; schwierig, diese Gefühlslage zu beschreiben.

Diese neu gerichtete Form-Entschiedenheit wirkte wie ein absolutes ›Muss‹, von innen heraus, sehr persönlich, wie ein imaginärer Zwang, der lange wohl schon zu einer Äußerung drängte. Nur einmal war mir solches passiert im Angesicht von Kunst. Nicht mal im Original hatte ich den »Schrei« von Munch gesehen. Dieses Gefühl von einer verlangsamten Zeitlichkeit, ganz direkt, ganz präzise aus einer anderen Seele – mitten
hinein ins eigene Herz. Gefühlt wie die eigene Versteinerung. Ich habe inzwischen viele dieser Werke von Sylvia Hagen gesehen. Und so sehr ihr Schaffen immer auch im Ernst das Spielerische meint, den Zufall gewähren lässt, sich selbst überraschen und gefangen nehmen lässt in der neu eroberten Freiheit – so sehr ist ihre Bildhauerei nach wie vor geprägt von einer klaren Tektonik des Körpergefüges.

Von dieser Rigorosität ihrer Arbeiten konnte ich eigentlich nicht genug bekommen. Was da transportiert wird über die Form, die keinen Hehl daraus macht, wie sie entsteht, und keine der Arbeitsspuren tilgt – darin artikuliert sich Verletzlichkeit, Entgegenstellen, Kraft, Sinnlichkeit und Tod. Das war/ist ein Herunterreißen von dem, was sich bewährt hat. Doch bei aller Expressivität – darf wieder die Zeit gerinnen, solange sie dazu braucht. Eine Erschütterung, die vehement präsent ist, gleich woher sie kommt. Behutsam, empfindsam – offenbar mit
verschiedenen Gratwanderungen zugleich im Bunde, ohne Kalkül, ohne Raffinesse. Da wurden nicht die Fronten gewechselt ins Abstrakte, Unfigürliche.
Die Verletzungen sind ja viel empfindlicher und schmerzlicher, wenn dieses alte Wahrnehmungsgesetz wirken darf und dich dazu bringt, alles Neu-Gesehene an Erinnertes zu binden. Sylvia sagte mir, sie hätte tatsächlich Neues im Sinn. Ich habe es gesehen und es hat sich angedeutet. Dieses Barocke, der Engel, dem sie die Wollust nur bis zu einem gewissen Grade gestattet … unglaublich sinnlich und trotzdem so hart der
Abbruch.

Unsere Wahrnehmung nämlich schließt den Bogen, wenn sie auch nur den geringsten Anhaltspunkt der Annäherung zur Verfügung hat. Und nur so wird das Gesehene gefühlt als
Verletzung, als Irritation. Ist die Abstraktion so weit getrieben, dass die Anhaltspunkte fehlen, bleiben die Reize der Form. Die aber führen ein anonymeres Leben.

Sylvia Hagen hat diese Grenzen überschritten, bis zum
Abgelöstsein hin. Und genau an diesem Punkt macht sie wieder kehrt. Die Umkehr ist wieder intuitiv, vielleicht um die eigene
Mitte zu hüten, den Kern, den sie um nichts in der Welt in
Zahlung gibt.